#IngeDeutschkron100: Rosenthaler Straße 39, Berlin-Mitte. Das heutige „Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt“ erinnert an den Werkstattbesitzer Otto Weidt, der unter dem Naziterror hier im Hinterhof eine große Zahl an Jüdinnen und Juden beschützte, darunter auch Inge Deutschkron.

Herr Weidt war durch zunehmende Erblindung gezwungen, seinen Beruf als Tapezierer aufzugeben, und gründete im Jahr 1936 eine Werkstatt, in der Besen und Bürsten hergestellt wurden. Der Betrieb galt durch Produktverkauf vor allem an die deutschen Streitkräfte als „wehrwichtig“.

Standort der Werkstatt war zuerst die Großbeerenstraße 92 in Kreuzberg und ab 1940 die Rosenthaler Straße 39 in Mitte (Foto). Otto Weidt beschäftigte, vermittelt von einem Blindenheim, mehr als 30 Jüdinnen und Juden, die fast ausnahmslos blind, gehörlos und / oder stumm waren.

Der Werkstattbesitzer kämpfte, als die Deportationen der jüdischen Bevölkerung aus ganz Berlin einsetzten, mit der Gestapo um das Leben jeder Mitarbeiterin und jedes Mitarbeiters aus seinem Betrieb, wenn eine Verschleppung befohlen wurde - und er kämpfte auf vielfache Weise.

Otto Weidt hatte Beziehungen, bestach Verantwortliche bei der Gestapo oder argumentierte, alle seine Arbeitskräfte seien für ihre „wehrwichtigen“ Aufgaben unverzichtbar. Die Rettung seiner schon verhafteten Schützlinge vor der Deportation gelang 1942 einmal „in letzter Minute“.

Herr Weidt organisierte mit weiteren Helferinnen und Helfern zudem mehrere Verstecke und auch gefälschte Arbeits- bzw. Personaldokumente für jüdische Mitmenschen - und immer wieder auch Lebensmittel, die er an verschleppte Jüdinnen und Juden im Ghetto Theresienstadt senden ließ.

Inge Deutschkron arbeitete als Kontoristin in der Blindenwerkstatt von Otto Weidt. Sie wurde von Conrad Cohn (dessen Familiennamen sie immer ‚Cohen‘ schrieb) und somit von der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ an Herrn Weidt vermittelt - was gesetzlich verboten war.

„Ich trug den gelben Stern“, Kapitel „Blindenwerkstatt Otto Weidt“, Textauszug: „Dr. Cohen schickte mich zu einer Frau Prokownik in der Jüdischen Gemeinde. Sie fragte nicht viel, sondern gab mir ein Empfehlungsschreiben an einen Otto Weidt in der gleichnamigen Blindenwerkstatt, Rosenthaler Straße 39.

Im Seitenflügel des Hinterhauses stieg ich eine wacklige Holztreppe hinauf und trat in einen kärglich eingerichteten Büroraum. Dort sah ich Weidt, schlank, ja eigentlich hager. Er hielt sich sehr aufrecht, seine großen Hände wie tastend vorgestreckt, über dem zerfurchten Gesicht glattes, farbloses Haar, das er oft nervös zurückstrich. Seine Augen waren fahl. Dennoch hatte ich den Eindruck, als sähe er mich durchdringend an.

Otto Weidt war nahezu völlig blind. [...] Er hieß mich setzen und fragte mich kurz über meine Familie und meines Vaters politische Tätigkeit aus. Während er zuhörte, griff er mehrmals nach einem Inhaliergerät und pumpte sich Luft zu.“

Inge Deutschkron, die Otto Weidt für sich sogar als „eine Art Vaterersatz“ beschrieb, assistierte ihm von 1941 bis 1943 in seiner Blindenwerkstatt.

Sie lebte zu dieser Zeit wiederholt unter falschem Namen in Berlin, so zum Beispiel als ‚Gertrud Dereszewski‘ und als ‚Inge Richter‘. Der Arbeitsausweis, der im Dezember 1943 auf den zweiten Namen ausgestellt wurde, ist heute ein Exponat im „Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt“.

Otto Weidt überlebte den Naziterror und starb 1947 im Alter von 64 Jahren in Berlin, sein Grab auf dem Friedhof Zehlendorf ist seit 1994 ein Ehrengrab des Landes Berlin. Inge Deutschkron setzte sich u. a. erfolgreich dafür ein, dass seine einstige Werkstatt zum Museum wurde.

Niederschrift des Gedichts „Ein Ausblick“ (1917) von Otto Weidt, heute Exponat in seiner einstigen Werkstatt. Die letzten vier Verse lauten: „Ich kann enden, kann vollenden / Immer in den eignen Händen / Wird mein Glück und Unglück liegen / Und kein Schicksal wird es biegen.“

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